14 Tom Thomson Lake - Joe Lake



Ich mag den Zeltplatz nicht. So viele Füße haben ihn im Laufe des Sommers zertrampelt, so viele rücksichtslose Hände sich auf der Suche nach Feuerholz an seinen Bäumen und Sträuchern vergriffen, dass er die Atmosphäre eines verwahrlosten Stadtparks ausstrahlt. (Noch weniger würde ich diesen Platz schätzen, wenn ich wüsste, was ich erst Wochen später aus einem kanadischen Outdoormagazin erfahre. Dort ist Tom Thomson Lake in einer "Best of Algonquin"- Liste aufgeführt - als der Ort, den man am besten meidet, wenn man sich vor Bären fürchtet.)



Ich bin also nicht traurig, als wir gegen Mittag unser Kanu besteigen und zu unserer vorletzten Etappe aufbrechen. Wir sind noch nicht weit gepaddelt, als uns am Südostende des Sees ein prachtvoller Biberdamm die Durchfahrt zum benachbarten Littledoe Lake versperrt. Wir bezwingen ihn routiniert. Hinter dem Damm ist das Wasser ruhig, man kann bis auf den Grund sehen, und richtig, da tummeln sich ein paar kleine Fische. Was das bedeutet, weiss ich mittlerweile. Ich döse also schicksalsergeben in der schwülen Hitze, während im Heck des Kanus das Unvermeidlliche passiert. Eine kümmerliche Kreatur wird gefangen und dem Element zurückgegeben, während ich unter halbgeschlossenen Lidern mit wachsender Sorge die schwarzen Wolken beobachte, die sich von Westen vor die Sonne schieben. Vereinzelt ist dumpfes Grollen zu hören. Meine Warnrufe werden zunächst missmutig abgetan, schließlich kann ich den heillosen Petrijünger aber doch zur Aufgabe bewegen - keine Sekunde zu früh. Als wir auf den See hinauspaddeln, peitschen uns die ersten Gewitterböen von Steuerbord entgegen. Glücklicherweise ist der See an dieser Stelle schmal und der nächste Campingplatz nur wenige Kanulängen von uns entfernt. Es beginnt zu tröpfeln, als wir am steilen Ufer landen und unsere Ausrüstung unter dem umgedrehten Kanu in Sicherheit bringen. Wir haben gerade noch Zeit, eine Plane zwischen ein paar Bäumen aufzuspannen, bevor das Gewitter richtig losbricht. Dann kauern wir unter unserem notdürftigen Wetterschutz, umweht von Sprühnebel, während ringsherum der Regen prasselt und die Abstände zwischen Blitz und Donner immer kürzer werden. Ich denke voller Unbehagen an die hohen Weisskiefern in unserer Nähe. Durch die Bäume können wir den vom Regen mattierten, bleifarbenen See sehen und beobachten, wie die Böen über seine Oberfläche streichen.

Zum Glück zieht das Unwetter schnell vorbei, und wir setzen unseren Weg fort. Littledoe Lake mündet im Westen in den Little Oxtongue River. Der Wind hat sich vollkommen gelegt, und der dampfende, stellenweise schon bunt getupfte Wald spiegelt sich in der unbewegten Oberfläche des Flusses. Lautlos gleiten wir dahin, während sich die Sonne langsam wieder durch die Wolken stiehlt.



Bald verbreitert sich der Fluss, er durchfließt Tepee Lake. Am Westufer können wir einen stattlichen Blockhauskomplex ausmachen, Camp Arowhon. Hier sammelt die kanadische Jugend im Sommer charakterbildende Erfahrungen. Auch jetzt ist das Camp ist noch nicht völlig verlassen. Eine kanadische Flagge flattert im wieder auffrischenden Wind, Kommandorufe wehen zu uns herüber. Dann liegt Tepee Lake hinter uns, wir passieren eine schmale Durchfahrt zu Joe Lake, und der Kreis unserer Reise schließt sich.

Gerne würde ich wieder auf unserem Platz campieren, aber er ist bereits belegt. Auch auf den anderen Plätzen ringsum stehen Zelte, lustig kreischende Menschen springen von Felsen ins Wasser und wir bekommen einen Eindruck davon, wie es hier während der Hauptsaison zugehen muss. Nur ein Platz ist noch frei, und es ist auch klar, warum. Wer würde schon freiwillig auf einem schmalen, düsteren Uferstreifen am Fuß eines steilen Abhangs sein Lager aufschlagen wollen? Das fragen wir uns, als wir unser Zelt nach längerer Suche an der Stelle aufbauen, die sich noch am ehesten dafür eignet, sofern wir nicht mitten auf dem Pfad zelten wollen, aus dem unser kümmerliches Refugium im Wesentlichen besteht. Der Platz ist dunkel und feucht, der Regen hat Rinnen in den weichen Untergrund gegraben, und für meinen Geschmack steht das Zelt immer noch viel zu nahe am Weg, denn wo ein Weg ist, ist über kurz oder lang auch ein Bär. Direkt neben unserem Zelt steht eine sterbende Weisskiefer, zehn Meter hoch wird sie sein. Idioten haben mehrere tiefe Kerben in ihren Stamm gehackt. Sollte sie umknicken, etwa bei einem Gewittersturm, wird sie direkt auf unser Zelt fallen.

Mittlerweile strahlt aber wieder die Sonne und wir essen das kanadische Nationalgericht, Makkaroni mit Käsesauce, dazu Trockenfleisch und Studentenfutter. Dann macht sich Genista ein letzes Mal auf, die kapitale Seeforelle zu erlegen.



Ich bleibe auf dem ungemütlichen Platz zurück und beobachte, wie die Wolken im Westen wieder schwärzer werden. Vorsichtshalber bedecke ich unser Zelt mit der Regenplane, die ich zur Wetterseite hin bis auf den Boden ziehe und sorgfältig mit Steinen und Schnüren sichere. Als Genista schließlich unverrichteter Dinge zurückkehrt, hat uns das zweite Unwetter schon fast erreicht.



Hastig ziehen wir das Boot an Land und raffen etwas Feuerholz zusammen, das wir unter dem Vorzelt aufstapeln. Kaum sind wir im Trockenen, als ringsum die Hölle losbricht. Ich versuche, zu lesen und nicht an den angeschlagenen Baum zu denken. Das ist gar nicht so einfach, wenn die Windböen an der Seite, an der man liegt, das Zelt eindrücken und draussen Sturzbäche herniedergehen. Als sich das Gewitter nach einer Stunde endlich ausgetobt hat, ist es merklich kühler geworden. Der Himmel ist grau verhangen, es beginnt zu dämmern. Höchste Zeit, das Seil für den Essensrucksack zu installieren. Wir müssen ein ganzes Stück laufen, bis der Pfad eine Biegung macht und wir in einem struppigen Waldstück endlich einen geeigneten Baum entdecken. Nachdem das Seil hängt, macht Genista noch einen kurzen Erkundungsgang, während ich an der Wegbiegung auf ihn warte. Mir behagt es hier nicht, und ich möchte zum Zelt. Endlich kommt Genista wieder und wir machen uns eilig auf den Rückweg.



Unser Abschiedsessen, einen Cajun-Bohneneintopf, löffeln wir mit Blick auf ein Amphitheater aus Wolken, das von den Strahlen der sinkenden Sonne rosig angeleuchtet wird. Dann machen wir zum letzten Mal ein Feuer und wärmen uns mit Kakao und Obstbrand von innen. Auf dem gegenüberliegenden Zeltplatz werden grüßend Taschenlampen geschwenkt, Gitarrenmusik und Kinderstimmen tönen zu uns herüber. Schließlich packen wir zusammen, tragen den Sack in den düsterern Wald und verkriechen uns im Zelt.



In dieser lauten, windigen Nacht, da bin ich sicher, geht ein Bär an unserem Zelt vorbei. Ich habe keine Angst.



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