Kai Schreiber

Autor | Neurowissenschaftler | Sänger






Perry Rodent

Die Ratte des Universums

Folge 16 - Vorstoß nach drüben

Was bisher geschah:

Viel ist geschehen, seit die Einsatzgruppe "Dusty Star" unter der Leitung von Perry Rodent den Käfig verlassen hat, um neues Futter zu suchen. Während Rodent versucht den rätselhaften Ungeheuerlichen, der mit der Frittenmacht identisch zu sein scheint, dazu zu bewegen, neues Futter zu bringen, und Wolpertinger den Haufen der Ameisen erforscht, ist im Käfig selbst die Lage mehr als kritisch. Der drohende Hunger und die Umtriebe des Rattenkönigs machen der Käfigleitung um Gershwin ohnehin schwer zu schaffen, als es auch noch zum Angriff eines riesigen Monsters kommt. Und dann unternimmt der Rattenkönig, der ein Loch in die Holzwand des Käfigs fressen ließ, einen VORSTOSS NACH DRÜBEN.

Die beiden Verwandten blickten nervös in die Schwärze, die schon nach wenigen Zentimetern den Gang auszufüllen schien wie eine Art dunkler Papierschnipsel und achteten auf jede Bewegung. Es bewegte sich nichts.
Seit ihr König das Loch in die Wand hatte nagen lassen, und dann, durch den Einsatz des Lockvogels, eine Anzahl von braunen Ratten dem Verwandtenkorps eingegliedert hatte, war es auf der anderen Seite ruhig gewesen. Keine weitere fremde Ratte hatte sich gezeigt, und wenn einige der Wachposten, die der König direkt hinter dem Loch postiert hatte, von unförmigen, bösartigen Schatten und Monstern erzählt hatten, so nahm das keiner so recht ernst. Jeder, der schon einmal Wache dort geschoben hatte, wußte, wie leicht man nach einigen Minuten des Starrens in die Dunkelheit tanzende Schatten für bösartige Feinde und die stillen Wände für heranrückende Gegner hielt, und deswegen glaubte den vereinzelten Alarmrufen niemand mehr. Ohnehin wurden es immer weniger, da die Wachen selbst sich scheuten, Laut zu geben, ehe sie nicht sicher waren, etwas gesehen zu haben.
"Hast Du das gesehen?" fragte die eine der beiden Wachratten nervös und schob den Kopf ein wenig vor, "mir war als hätte sich da was bewegt."
"Quatsch", murmelte der andere verschlafen, "sei still. Hier ist keiner mehr." Die Vermutung, der Bau der braunen Ratten sei unterdessen von den übrigen geräumt worden, weil sie wußten, daß sie gegen den König keine Chance hatten, war von einigen glühenden Anhängern des Königs gestreut worden, der König selbst jedoch glaubte nicht recht an diese Möglichkeit und wurde darin auch von den eingefangenen Braunen bestärkt, deren Schilderungen der Kampfkraft und des Mutes ihrer ehemaligen Gefährten eher den umgekehrten Schluß erlaubten: daß nämlich die braunen Ratten einen Gegenangriff vorbereiteten, um sich des Königs zu entledigen und anschließend selbst den Käfig zu beherrschen. Und so schmerzlich es den König ankam, das einzugestehen, lagen doch ihre Chancen, Erfolg beim Kampf gegen den Käfig zu haben, deutlich höher als seine eigenen.
Und so faßte der König der Ratten nach seinem mißglückten Versuch, die Schwäche des Käfigs zu einem Putsch zu nutzen, den Entschluß, mit aller Kraft auf die andere Seite vorzustoßen. Und mit aller Kraft hieß in diesem Fall: er selbst würde den Übergang mitmachen.
Die beiden Wachratten waren unterdessen übereingekommen, daß die Bewegung im Gang eine Täuschung gewesen war und dösten friedlich weiter, während nur wenige zehn Zentimeter von ihnen entfernt ein Kundschafter des Baues leise schnüffelnd und sichernd den Rückzug zum General antrat. Das schwache Kratzen und Knirschen der zahlreichen Nagezähne, die den Durchgang stetig erweiterten, wiegte sie sanft, und bald waren die beiden Ratten eingeschlafen und produzierten leise rasselnde Geräusche.

*

Der Kundschafter wurde mißtrauisch beschnüffelt und gemustert, ehe der bullige Wächter den Gang freigab, und der Kundschafter sich vorüberquetschen konnte. Geschickt und ohne zu zögern wählte der Kundschafter aus den zahlreichen Gängen, die von der Haupthöhle anzweigten, den richtigen aus, und stieß wenig später auf eine weitere Wache. Die Erkennungsprozedur wiederholte sich, und dann, als auch die zweite Wache den Weg freigab, gelangte der Kundschafter in die große Versammlungshöhle, in der sich alle Angehörigen des Baues, die keinen Wachdienst irgendwo in den verzweigten Gängen schoben, aufhielten. Inmitten der wimmelnden Menge von Kriegern, Müttern und Kindern thronte, umringt von seinen Beratern, der General und brachte mit einem sanften Taps auf den Kopf des gerade Sprechenden diese nzum Schweigen. Er ließ seine Pfote einen Moment dort ruhen, drückte gerade genug, um sich zu behaupten und den anderen nicht zu demütigen, und wandte sich dann dem Kundschafter zu.
"Sieh da, du bist zurück. Was gibt es vom Loch Neues zu berichten?" "Sie erweitern es. Es ist jetzt schon so groß, daß mehr als eine Ratten gleichzeitig hindurchkönnen. Und sie haben Wachen aufgestellt, die den EIngang bewachen, aber sie passen sehr schlecht auf. Sie schlafen fast."
Belustigung erfüllte die Höhle und einzelne Ratten lachten sogar offen. Der General ließ ein drohendes Zischen hören, und die Gesellschaft verstummte.
"Habt ihr vergessen, wie unsere vermeintlich so lächerlichen Gegner unseren Trupp einfach verschwinden ließen? Wir wissen noch nicht einmal, was mit ihm geschehen ist. Vielleicht sind die einschlafenden Wachen wieder nur ein Täuschungsmanöver." "Das glaube ich nicht", wagte der Kundschafter einzuwerfen und erntete ein vernichtendes Quieken des Generals.
"Deswegen bin ich ja auch General", herrschte der General, "und du nur Kundschafter." Er atemete einige Male tief durch, und sagte dann, wieder ruhig: "Wir werden abwarten."

*

Ächzend und mit verhaltenem Pfeifen wälzte der König sich auf die mittlerweile beträchtlich große Öffnung in der Holzwand zu und zwängte sich hindurch. Ungläubig betrachteten die Verwandten, wie der König, der zunächst größer wirkte als die Öffnung, sich verformte, allmählich einem abgeplatteten Ellipsoid glich und sich dann nach drüben schob.
Zwanzig Verwandte waren schon vorausgegangen, und sicherten, immer Zentimeter vor dem König bleibend, den Vormarsch. Vor sich in der Dunkelheit hörte die Vorhut leises Rascheln und Knistern, als zögen sich braune Ratten zurück, doch wußte sie den König in ihrem Rücken und drang Stück um Stück weiter vor. Schließlich weitete sich der Gang, die Invasoren hatten die Haupthöhle erreicht, und hier warteten etwa zehn Kämpfer des Gegners, die jedoch der hypnotischen Stimme des Königs ohne Gegenwehr erlagen.
"Fünf der neuen Verwandten gehen zurück zum Durchbruch und sichern dort gegen eventuelle Angriffe, die anderen führen mich zum Rest der Bewohner dieser Höhlen. Wir bringen das hier jetzt zuende", pfiff der König und folgsam taten die Verwandten, wie ihnen befohlen war. Alles schien zum besten zu funktionieren, und zwar aus vielen Kehlen angestrengt keuchend, aber hochzufrieden, schob sich der König seinen neuerworbenen Führern hinterher.

*

"Wir geben diese Höhle auf und ziehen uns in die Vorratskammern zurück", fauchte der General angriffslustig, und ließ seinen Schwaz unruhig zucken.
"Wir hätten angreifen sollen", wagte der Kundschafter erneut einzuwerfen, und diesmal bezahlte er teuer dafür. In einer blitzartigen Bewegung schlug der General die Zähne in seine Seite und hielt einen Moment fest, dann zog er den Kopf ebenso schnell zurück, ehe der Kundschafter sich wehren konnte. Doch dem war ohnehin nicht danach, er schrie gequält auf, sackte dann zusammen und wimmerte hilflos.
"Möchte noch jemand widersprechen", schnaubte der General, und richtete sich drohend auf, doch niemand sagte etwas. "Wir sind diesem Ding nicht gewachsen. Wir werden den Bau verlassen und einen neuen suchen."
Unruhe kam in die versammelten Bewohner, und endlich wagte einer, über das Stöhnen des Kundschafters hinweg, darauf hinzuweisen, daß der Ausgang vom König versperrt wurde, und daß sie alle mit dem Rücken zur Wand standen. Doch der befürchtete Wutausbruch des Generals blieb aus, ruhig lächelnd wandte der Alte sich an den, der den Einwand vorgebracht hatte.
"Hervorragend. Berechtigte Einwände sind jederzeit willkommen. Du bist mein neuer Chefberater. Komm an meine Seite."
Erneut kam Unruhe in die Gruppe, die der General jedoch sofort erstickte.
"Wir ziehen uns jetzt in die Speisekammer zurück, und dort werden wir graben. Wer mit dem Rücken zur Wand steht, tut gut daran, die Wand durchzunagen." Sprachs und verließ die Versammlungshöhle durch einen engen Gang, der zur Speisekammer führte. Nach und nach folgten ihm die anderen, und ein paar junge Ratten, die den General mit giftigen Augen betrachtet hatten, während er gesprochen hatte, kümmerten sich um den Kundschafter.
"Das hätte er nicht tun dürfen", sagte eine von ihnen, als sie als letzte die Höhle verließen. "Jetzt ist er zu weit gegangen."
Der Kundschafter stöhnte nur vor Schmerz.
"Das hätte er nicht tun dürfen", wiederholte der Sprecher, und die anderen nickten düster.

*

Als der König die Versammlungshöhle erreichte, war sie erfüllt vom Geruch zahlloser Ratten, aber es war keine von ihnen mehr zu sehen.
"Sie sind geflohen", rief der König, und hörte unbewegt den Bericht eines braunen Verwandten, der sofort erkannt hatte, wohin die Bewohner des Baues geflohen waren. "Wie lang ist dieser Gang", fragte der König wütend und als er erfuhr, daß es sich um viele Rattenlängen handelte, schnaubte er unwillig.
"Ich werde hier Position beziehen", alle Verwandten kommen zu mir, vier Wachen bleiben am Durchgang und beaufsichtigen die Höhle im Käfig. Alle anderen graben hier, um den Gang zu erweitern. Wir werden sie kriegen."
Schon wenig später waren die Gräber am Werk, und mitten hinein in das geschäftige Treiben platzte die Nachricht, daß die Käfigverwaltung die Höhle gestürmt und den Durchgang besetzt hatte.

Der Vorstoß des K�nigs st��t auf unerwartete Schierigkeiten, und nun hat die K�figleitung ihm offensichtlich auch noch den R�ckweg abgeschnitten. Doch n�chste Wochen blenden wir zun�chst wieder zur�ck zu Rodent und seinen Begleitern, die nach dem Kampf gegen den Ungeheuerlichen eine weiter entdeckung machen. Sie sto�en vor ins Land der Götter.